Haben Sie gerade Münzen in Ihrem Portemonnaie? Und wenn ja, könnten Sie spontan sagen, was darauf zu sehen ist? Wahrscheinlich wären Sie überrascht von der Vielfalt der Darstellungen.
Für Historikerinnen und Historiker der Antike sind Münzen als Quellen äußerst spannend: Man kann den Münzbildern viel über die damalige Welt entnehmen! Münzen dienten neben ihrem Zweck als Zahlungsmittel auch der großflächigen Verbreitung von Informationen. Allerdings ist die Einordnung von Münzbildern nicht immer eindeutig.
Ein spannendes Beispiel ist die sogenannte Stiermünze, die Kaiser Julian (331/332–363 n. Chr.) prägen ließ. Das ausgestellte Exemplar dieses Münztyps, also des Münzdesigns, stammt aus der numismatischen (münzkundlichen) Sammlung der Alten Geschichte an der Universität Mainz. Wieviel genau die große Bronzemünze zu ihrer Zeit wert war, ist schwer zu sagen, denn damals wie heute fluktuierte der Geldwert.
Auf der Vorderseite der Münze, dem Avers, ist ein männlicher Kopf mit Bart, einem Perlendiadem, Brustpanzer und Feldherrenmantel abgebildet. Die umlaufende Schrift verrät uns, um wen es sich dabei handelt: D(ominus) N(oster) Fl(avius) Cl(audius) Iulianus P(ius) F(elix) Aug(ustus) – „Unser Herr Flavius Claudius Iulianus, frommer, glücklicher Kaiser“. Kurz: Kaiser Julian. Er war der letzte heidnische Kaiser nach der konstantinischen Wende, die das Christentum als Herrscherreligion etablierte; deshalb wird Julian auch Apostata – der Abtrünnige – genannt.
So weit, so eindeutig. Wenn man die Münze aber umdreht und die Rückseite (Revers) betrachtet, wird es rätselhaft. Dort sieht man einen nach rechts gewandten Stier mit erhobenem Kopf. Über seinen Hörnern und seinem Rücken befindet sich je ein Stern. Die Legende lautet: Securitas Rei Pub(licae) – „Sicherheit des Gemeinwohls“. Unter den Hufen des Stiers, im sog. Abschnitt, verweist NIK auf die Münzprägestätte Nikomedien (heute İzmit, Türkei). Das darauffolgende Alpha steht für die konkrete Münzprägewerkstatt. Aber was bedeutet nun der Stier? Welche Botschaft wollte Julian den Menschen, denen das Münzbild im Alltag begegnete, vermitteln? Das sind in der Forschung viel diskutierte Fragen.
Am geläufigsten ist die Interpretation des Stiers als Opfertier. Der Heide Julian förderte das Wiederbeleben von Opferpraktiken. Als sich Julian eine Zeit lang in Antiochia (heute Antakya, Türkei) aufhielt, beschwerten sich zum Beispiel die Menschen dort über die Opferwut des Kaisers und kritisierten auch seine Münzprägung. Üblicherweise wurden Opferstiere allerdings mit Altar und Schmuck dargestellt, beides fehlt hier.
Julian mag sich aber mit seiner Münze auch in eine bestehende Prägetradition eingereiht haben. Unter Kaiser Gallienus (218–268 n. Chr.) sind Münztypen belegt, die Tierrepräsentationen von Gottheiten zeigen. Der Sonnengott Sol ist auf diesen oft als Stier dargestellt, der Julians Stier stark ähnelt. Es scheint durchaus möglich, dass auch Julian das Tier als Symbol des Sonnengottes wählte. Schließlich pries der Kaiser diesen unter seinem griechischen Namen in der 362 n. Chr. verfassten „Hymne auf König Helios”.
Was aber, wenn der Stier nicht einen Gott, sondern den Kaiser selbst repräsentiert? Sah Julian sich als Herrscher über das Römische Reich wie ein Stier, der seine Herde anführt? Julian, ein großer Liebhaber der griechischen Literatur, könnte das Bild des Herdenführers von Dion Chrysostomos (40–112 n. Chr.) übernommen haben. Der Redner und Philosoph zeichnete den Stier als Sinnbild für den idealen Herrscher und bezog sich dabei sogar auf Homer. Die Münzlegende securitas rei publicae würde gut zu dieser Vorstellung passen.
Der Stier könnte auch als Konzeptionszeichen stellvertretend für den Kaiser stehen. Das ist nicht das Tierkreiszeichen, unter dem man geboren, sondern das, unter dem man gezeugt wurde; in Julians Fall der Stier. Julian könnte das Münzbild also als Verweis auf die damals populäre Astrologie ausgewählt haben. Diese Interpretation würde auch die über dem Tier dargestellten Sterne erklären. Sie symbolisieren die Sternengläubigkeit oder können auf die mythischen Brüder Kastor und Pollux verweisen, die im Sternbild Zwilling verewigt sind.
Der Stier auf Julians Münze könnte also viele Bedeutungen haben, die in der wissenschaftlichen Literatur weiterhin kontrovers diskutiert werden. Unabhängig von der Absicht, die Julian mit der Stiermünze verfolgte, zeigt die Vielfalt der Interpretationen, dass auch die spätantiken Zeitgenossen das Stierbild unterschiedlich verstanden haben mögen.
Die vorgestellte Stiermünze ist nur eine der fast 1.000 Münzen in der Mainzer numismatischen Sammlung, die die gesamte Antike von der griechischen Archaik über die römische Republik bis zur Spätantike abdeckt. Alle Studierenden dürfen in den numismatischen Sitzungen der althistorischen Seminare eine Münze in die Hand nehmen, sie betrachten und sich eigene Gedanken über sie machen, so wie es vor fast 1.700 Jahren die Menschen im römischen Reich mit der Stiermünze Julians getan haben – Münzen sind Antike zum Anfassen!
Konstanze Schiemann, Lea Milnazik, Leah Schröder
Weiterführende Links
Die Münzen der Mainzer numismatischen Sammlung finden Sie digital im „Netzwerk universitärer Münzsammlungen in Deutschland“.
Einen Einstieg in die Numismatik bietet die Universität Heidelberg.
Quellen
- Julians „Hymne auf König Helios“: Georg Mau, Die Religionsphilosophie Kaiser Julians. In seinen Reden auf König Helios und die Göttermutter. Mit einer Übersetzung der beiden Reden (= Studia Historica 88), Rom 1970.
- Julians Satire „Der Barthasser“ über seinen Aufenthalt in Antiochia: Julian Apostata, Das Kaiserbankett/ Der Barthasser, übersetzt von Marion Giebel, Wiesbaden 2016.
- Dion Chrysostomos‘ „Zweite Rede über die Königsherrschaft“: Dion Chrysostomos, Sämtliche Reden, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Winfried Elliger, Zürich 1967.
Literatur
- Brendel, Raphael, Die Münzprägung Kaiser Julians. Ein Überblick zu den neueren Forschungen, in: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 66 (2016), S. 241-266.
- Bringmann, Klaus, Kaiser Julian (= Gestalten der Antike), Darmstadt 2004.
- Giebel, Marion, Kaiser Julian Apostata. Die Wiederkehr der alten Götter, Düsseldorf/ Zürich 2002.
- Pfeilschifter, Rene, Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher, München 2014.
- Rosen, Klaus, Julian. Kaiser, Gott und Christenhasser, Stuttgart 2006.