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Universitätsbibliothek Mainz

02.04.2020

Mit Sprache gegen Corona

Corona hat die Welt fest im Griff. Neben den erschreckenden Bildern von überfüllten Krankenhäusern, erschöpften Ärztinnen, Ärzten, Pflegerinnen und Pflegern erreichen uns täglich aber auch Nachrichten von Solidarität und Mitmenschlichkeit. Als Covid-19 ausbrach befand sich die Germersheimer Absolventin Francesca in China, um an der Universität Peking ihre Chinesischkenntnisse weiter auszubauen. Was sie da noch nicht wusste: Ihr Chinesisch sollte schon bald auf Herz und Lunge geprüft werden.

Flughafen Peking-Daxing. “Air China Flight CI517 to Taipei is now boarding at Gate 19.” Francesca blickt von ihrem Smartphone auf, schließt gedankenverloren einen Artikel über vereinzelte Krankheitsfälle, ausgelöst durch ein neuartiges Virus in der südchinesischen Stadt Wuhan, Provinz Hubei, rund 1200 km südlich von Peking. Sie reiht sich in die Schlange wartender Passagiere ein. Dass sie nicht wie geplant in zwei Wochen wieder am Flughafen Peking zurück sein würde, ahnte sie an diesem sonnigen Tag Ende Januar 2020 noch nicht.

Flughafen Rom Fiumicino: Es ist der 12. März 2020. Neun chinesische Expertinnen und Experten landen, um Italien im Kampf gegen das neuartige Sars-CoV-2 zu unterstützen, das seit seinem ersten Auftreten in Wuhan zu einer Pandemie geworden ist.

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“Coronavirus, dalla Cina un volo con medici e mascherine: l'arrivo in Fiumicino” (Coronavirus: Ein Flugzeug mit Ärzten und Masken landet in Fiumicino) titelt La Repubblica. Francesca wechselt von ihrem Smartphone zum Laptop und startet einen Videoanruf mit ihrem Kollegen 林桥 (Gio) in Peking. Die Dolmetscherin und Absolventin des Masters Konferenzdolmetschen am Fachbereich 06 in Germersheim möchte in dieser Ausnahmesituation nicht untätig bleiben. Damit reiht sie sich in die Gruppe von Menschen ein, die die Selbstisolierung sinnvoll nutzen möchten, um sich in welcher Form auch immer in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.

Dieses zivilgesellschaftliche Engagement hat viele Gesichter: der Gang zum Supermarkt für Menschen, die zur Risikogruppe zählen, online Nachhilfe für Schülerinnen und Schüler oder Unterstützung von Notfallnummern. Da Francesca aus eigener Erfahrung weiß, wie wichtig es ist, als Sprachmittlerin terminologisch gut auf einen Einsatz vorbereitet zu sein, wandte sie sich an das Italienische Rote Kreuz. Ihre Idee war es, bei der Erarbeitung eines Glossars – also einer Liste coronarelevanter Terminologie – für die Sprachen Englisch, Italienisch und Chinesisch mitzuwirken. 

Diese Notwendigkeit ergab sich just mit der Ankunft chinesischer Expertise in Italien. Das krisenerprobte medizinische Fachpersonal aus China sollte Erfahrungen, Lehren und Best Practices an die italienische Kolleginnen und Kollegen in Vorträgen und Konferenzen weitergeben. Und hier kommen die Dolmetscherinnen und Dolmetscher ins Spiel. 

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Dolmetscherin oder Ihren Dolmetscher

Damit Sprachmittlerinnen und Sprachmittler ihre Arbeit adäquat und im Falle von Corona ohne Leben zu gefährden, ausüben können, ist die richtige Terminologie das A und O. Wenn Donald Trump mithilfe des Defense Production Act den Automobilhersteller General Motors zur Produktion von ventilators zwingen will, liegt es nicht etwa daran, dass der Commander in chief mal wieder zu heiß gebadet hat. Hier ist die Rede von überlebenswichtigen Beatmungsgeräten. Im Idealfall hat man genügend Zeit, sich vor einem Einsatz relevantes und fachspezifisches Vokabular anzueignen. In einer pandemischen Krisensituation, wie wir sie aktuell erleben, ist das natürlich ein Luxus, den man sich nicht leisten kann.

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Im Gegenteil: Bei unserem Telefonat erzählte Francesca von sehr schwierigen Arbeitsbedingungen, fehlender Vorbereitungszeit und erhöhter psychischer Belastung der Sprachenprofis in Pandemiezeiten. Dementsprechend wichtig war das schnelle Zusammenstellen von Coronafachvokabular. Leider hatte das Italienische Rote Kreuz dafür kaum Kapazitäten. Francesca beschloss kurzerhand, ihre Idee auf eigene Faust mit ihrem Kollegen in Peking in die Tat umzusetzen.

Konkret ging es darum, Dolmetscherinnen und Dolmetschern kostenlos ein Glossar für die Sprachen Italienisch, Chinesisch und Englisch an die Hand zu geben. Und damit den so wichtigen Wissenstransfer zwischen dem italienischen und chinesischen Fachpersonal überhaupt erst zu ermöglichen.  

Aus Germersheim in die weite Welt trotz Reisebeschränkungen

Aus einer persönlichen Initiative ist mittlerweile etwas Größeres geworden. Das Glossar umfasst jetzt 17 Sprachen: Chinesisch, Englisch, Italienisch, Arabisch, Serbisch, Kroatisch, Russisch, Deutsch, Hebräisch, Französisch, Ungarisch, Slowakisch, Spanisch, Portugiesisch, Türkisch, Griechisch und Rumänisch. Mittlerweile wollen viele Dolmetscherinnen und Dolmetscher aus aller Welt ihren Beitrag leisten, um der Notsituation Herr zu werden. Francesca betont: “Dieses Beispiel zeigt eben, dass die Profession des Dolmetschens eine wichtige Rolle in unserer Gesellschaft spielt, gerade in solchen Notsituationen. Bei der Coronakrise handelt es sich um eine Möglichkeit, genau das einem breiten Publikum zu vermitteln.“ Umso wichtiger ist es, dass die Sprachprofis bestens auf diese Herausforderung vorbereitet sind. Mit jeder zusätzlichen Sprache, mit jeder zusätzlichen Vokabel im Glossar kommt man diesem Ziel einen Schritt näher. 

Wie sieht es bei euch aus? Habt ihr ähnlich wie Francesca Wege gefunden, Studium und Engagement gegen Corona miteinander zu vereinen? Erzählt uns gerne von euren Erfahrungen – mit dem nötigen Sicherheitsabstand natürlich.

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