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Universitätsbibliothek Mainz

02.03.2018

Germersheim ist kein Mainzer Vorort

Germersheim ist nicht Mainz. Sicher, das Hauptgebäude könnte aus demselben architektonischem Guss stammen, wie so manches Bauungetüm auf dem Mainzer Campus und Jogustine kann in der Pfalz genauso unkooperativ sein wie im Rheinland. Trotzdem. Germersheim ist nicht Mainz. Mainz ist nicht Germersheim. Und das in unterschiedlicher Hinsicht.

Hier sitze ich nun in einer schallisolierten Kabine. Die Luft kann schnell stickig werden. Eine Frauenstimme dröhnt aus den Kopfhörern, die ich mir nur über ein Ohr gezogen habe. Ich suche nach den richtigen Wörtern, nach der richtigen Nuance. Und das muss schnell gehen. Sehr schnell. Unaufhaltsam fährt die Stimme fort: "Heute erinnern wir, Franzosen und Deutsche gemeinsam, an das, was hier geschah". "Aujourd’hui nous, Français et Allemands… ähem commémorons ensemble ce qui a eu lieu ici", höre ich mich sagen, fast ganz Frank-Walter-Steinmeier-like.

Nach etwa 20 Minuten lege ich die Kopfhörer ab und verlasse die Dolmetschkabine 12 am Fachbereich 06 der JGU. Mein Puls beruhigt sich wieder.

Germersheimer Eigenheiten

Dolmetscherkabinen
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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Foto: Stefan Sämmer

Seit einigen Monaten studiere ich nun schon am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) den Master Konferenzdolmetschen, habe Hörsäle gegen Dolmetschräume eingetauscht und auch sonst hat sich an meinem Studienalltag viel verändert. Man sitzt nicht mehr so oft in der Bibliothek, sondern im Sprachlabor, in dem man so genannte Stundenbänder nacharbeiten kann. Man liest weniger Wälzer, dafür jeden Tag Zeitung, auch den Wirtschaftsteil, in möglichst allen Arbeitssprachen.

 

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Foto: Stefan Sämmer

Auch am FTSK werden Vorlesungen und Seminare angeboten, aber mein Studienschwerpunkt liegt auf dem Dolmetschen. Eine typische Dolmetschstunde folgt immer dem gleichen Muster: Wir erhalten eine kurze Einführung in das Thema der zu verdolmetschenden Rede, gehen in die Kabine, geben unser Bestes, versuchen uns zu behaupten, angesichts aberwitziger Wortspiele, Zahlenkolonnen und Wörter, die eigentlich nichtssagend sind. Anschließend werden wir abgehört. Manchmal kommt es vor, dass wir über Begrifflichkeiten diskutieren oder darüber, wie wir Kulturspezifika am Besten in die Zielsprache übertragen.

 

Es ist ein sehr praxisorientierter Master, der viel Disziplin und Eigeninitiative verlangt, denn das Dolmetschen lernt man nicht im Unterricht, sondern durch kontinuierliches Üben zu Hause. Das Lernen in Lerngruppen wird wärmstens empfohlen. Es hilft, am Ball zu bleiben und gestaltet das Lernen angenehmer. Schnell versteht man, Dolmetschen ist Teamwork. Dementsprechend knüpft man schneller Kontakt, schließt einige Freundschaften, die restlichen Studierenden aus dem Master kennt man mittlerweile mindestens vom Sehen. Untertauchen, sein eigenes Ding machen, wie es der manchmal etwas unübersichtliche Betrieb auf dem  Mainzer Campus erlaubt, erweist sich im kleinen Germersheim als schwierig. Es ist auch gar nicht ratsam, denn wie ich schnell festgestellt habe, braucht man neben einem dicken Fell auch Freunde, um dem ständigen Bewertungsdruck und dem Feedback der Dozentinnen und Dozenten gewachsen zu sein.

Und welche Sprachen studierst du?

Germersheimer Gespräche unterscheiden sich auch von jenen, die ich aus Mainz gewohnt bin. Wenn wir unter den letzten schwachen Strahlen der Herbstsonne nach dem Unterricht beisammensitzen, drehen sich unsere Gespräche oft, einige würden sagen zu oft, ums Dolmetschen. Da fällt es schwerer, das Studium Studium sein zu lassen, als es in Mainz der Fall ist. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, unter einer gläsernen, kunterbunten Kuchenglocke zu leben. In einem Mikrokosmos, in dem wir sehr viel über Sprachen in sehr vielen Sprachen sprechen und in dem beim ersten Kennenlernen immer gefragt wird: "Und welche Sprachen studierst du?". Das kann anstrengend sein.

Das Germersheimer Geheimrezept

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Diese Abgeschirmtheit lässt sich auch darauf zurückführen, dass man, anders als in Mainz, nicht mit anderen Studienfächern als den drei vertretenen (B.A Sprache, Kultur, Translation, MA Konferenzdolmetschen, MA Translation) in Berührung kommt. In der Germersheimer Mensa brütet niemand über einem Algebrabuch oder dem Schönfelder, beim Unisport kommt man nicht mit Studis der Theologie, der Biologie oder den Sozialwissenschaften zusammen.

Einerseits ist das sehr schade, andererseits herrscht am FTSK gerade deswegen eine sehr besondere Atmosphäre, weil wir alle mindestens eine Leidenschaft teilen, jene für Sprachen und andere Kulturen. Ich möchte auch nicht mehr auf das Privileg verzichten, durch die Uni zu streifen und dabei so viele unterschiedliche Sprachen zu hören.

Mainz ist nicht Germersheim. Germersheim ist nicht Mainz. Nicht besser, nicht schlechter. Anders.

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