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Universitätsbibliothek Mainz

16.01.2018

Kommt ein Pantoffel geflogen…

Zwar werden Politiker immer wieder mit Schuhen beworfen (so beispielsweise George W. Bush 2008 bei seinem Abschiedsbesuch im Irak), aber wer würde vermuten, dass so etwas auch in der beschaulichen rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt vorkommen könnte?

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Universitätsbibliothek Mainz

Eine solche Anzeige könnte am Anfang einer Aktion gestanden haben, mit der die Mainzer 68er nachhaltig versucht haben, der Uni ihren Stempel oder besser ihre Sohle aufzudrücken.

Fakten, Fakten, Fakten

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Universitätsarchiv Mainz

Flugblatt mit einem "Besinnungsaufsatz", in dem sich Christian Boblenz zur Tat bekennt.

Über das, was wirklich passiert ist, scheiden sich wie so oft die Geister. Deshalb hier erstmal die harten Fakten:

Vom 15. bis 18. Januar 1968 fanden die StuPa-Wahlen an der Uni statt und die Stimmung unter den Studis war aufgrund der vorhergegangenen nobis-Verbrennung immer noch aufgeheizt. Um seine Chancen bei den Wahlen zu erhöhen, hatte sich der RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) für den 16. Januar den amtierenden Kultusminister Bernhard Vogel (CDU) eingeladen, der einen Vortrag über „Bildungspolitik an Hochschulen“ im auditorium maximum hielt. Neben der zu erwartenden konservativen Anhängerschaft des RCDS waren aber auch zahlreiche SDS-Studierende (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) gekommen. Während Vogels Rede nahm ein Studi ein Paar Filzpantoffeln zur Hand und warf diese auf den Kultusminister. Die ungewöhnlichen Wurfgeschosse verfehlten Vogel aber knapp und trafen die hinter ihm liegende Wand. Und das war es schon mit den gesicherten Informationen…

„Auf einen groben Kultusminister gehört ein weicher Filzpantoffel“

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Thomas Hartmann

Noch lange Ziel von Protest Unter dem Motto "Vogel-Tribunal hielt ein Bündnis aus Schülern Studis und Azubis 1974 einen fiktiven Gerichtsprozess gegen Vogel ab.

Was dann geschah und wer woher warum anwesend war, ist auch 50 Jahre nach dem Ereignis noch unklar. Der RCDS berichtet in einem Flugblatt davon, dass eine Gruppe von SDS-Studierenden aus Frankfurt, Marburg und Mainz solange versuchten, die Veranstaltung zu stören, bis ihnen die Luft ausging. Als letzter Weg, um den Vortrag des Ministers zu verhindern, griff der SDS zu den Pantoffeln und warf diese nach Vogel. Der Angreifer soll ein Marburger SDSler gewesen sein. In der Folge sei der Minister ganz ruhig geblieben und habe seinen Vortrag fortgesetzt. Fragt man ihn selbst, berichtet er (allerdings auch als einziger), dass er die Schuhe postwendend ins Publikum zurückgeschleudert habe (nachzulesen in "Deutschland aus der Vogelperspektive").

So viel Elan und Spontanität war dem damaligen Kultusminister durchaus zuzutrauen, gehörte er doch mit dem ebenfalls anwesenden Heiner Geißler zur jungen Garde des Kabinett Kohl (genau, der Kohl mit dem Saumagen, Gorbatschow und Oggersheim). Vogel war zu dieser Zeit erst vier Wochen im Amt und mit 36 Jahren kaum älter als die Studis, vor denen er sprach.

Der SDS selbst bestritt die Teilnahme der Marburger Genossen und lieferte einen anderen Täter. Von Seiten der Mainzer Studis bekannte sich der Theologiestudent Christian Boblenz in einem „Besinnungsaufsatz“ zum Wurf und schilderte dort das Geschehen aus seiner Sicht. Seiner Meinung nach wurde der kritische Teil des Publikums „einfach mit dem Lautsprecher totgebrüllt“. Außerdem habe er als Pazifist nie wirklich versuchen können Vogel zu treffen und deswegen absichtlich über den Kultusminister geworfen.

Da er qua Amt für die Hochschulen im Land zuständig war und als CDU-Mitglied ein dankbares Feindbild für die linksgerichteten Studis abgab, wurde er in der folgenden Zeit wiederholt Ziel studentischen Protests. So saß ein Bündnis aus Lehrlingen, Studis sowie Schülerinnen und Schüler fast auf den Tag genau sechs Jahre später über Vogel zu Gericht. Sie veranstalteten ein „Vogel-Tribunal“, um beim Kultusminister die Abschaffung des „Radikalenerlaß“ zu fordern.

Und warum das Ganze?

Nicht zuletzt sollte natürlich erwähnt werden, wie es überhaupt dazu kam, dass Bernhard Vogel Ziel eines Paars Pantoffel wurde. Der eigentliche Auslöser der aufgeheizten Stimmung war das Verbot der Wanderausstellung „Lübkes und Kiesingers braune Vergangenheit“, in der die Nazivergangenheiten des Bundespräsidenten Heinrich Lübke und des Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger thematisiert wurden. Rektor Adolf Adam gab hierfür aber keine Räumlichkeiten der Universität frei. Weil die Studis hierin einen Eingriff in die studentische Selbstverwaltung sahen, bauten sie die Ausstellung am 15.01.1968 kurzerhand im Lesezimmer des AStAs wieder auf. Zu diesem Zeitpunkt konnte natürlich noch niemand wissen, dass die brisanten Informationen über Lübke teilweise aus den Akten der Stasi stammten, die mit überspitzt dargestellten Belegen versuchte, die politische Führung der Bundesrepublik als glühende Nazis darzustellen. Vermutlich waren die Informationen in dem 1965 erschienen „Braunbuch“  der Nationalen Front der DDR entnommen, wo sich neben Artikeln zu Lübke und Kiesinger auch Pikantes zum Mainzer Juraprof Karl Maria Hettlage fand.

Aus dem Leben eines Schuhs

Empathische Schuhliebhaber werden nun zu Recht fragen, was mit den Pantoffeln passierte. Nun, diese waren der Höhepunkt des kurz darauf folgenden Balls der Nation am 27.01.1968. Dort präsentierte man in der ersten Auflage der „Miss Uni“ nicht nur die schönste Studentin des Campus, sondern versteigerte auch die skandalträchtigen Schlappen meistbietend. Nachdem dem FDP-Landtagsabgeordneten Günter Storch die Pantoffeln aber nur 12 Mark wert waren, wanderte das Paar für 21 Mark in unbekannte Liebhaberhände.

Daher ergeht folgender Appell: Lieber Liebhaber, solltest du das hier lesen, melde dich doch bitte beim Uniarchiv. Denn nur du kannst uns helfen, Licht ins Dunkel zu bringen. Sonst war die ganze Sache doch nur für die Füße…

Und für alle anderen: Wenn ihr nicht bis zum nächsten Artikel warten und euch lieber gleich auf die Socken machen wollt, um mehr über Mainz ‘68 zu erfahren, dann empfehle ich euch das 68er-Themenheft der Volkskunde in Rheinland Pfalz (2017)

Frank Hüther
Frank Hüther

Frank Hüther arbeitete bis April 2023 im Universitätsarchiv.

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