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Universitätsbibliothek Mainz

21.11.2018

Wahlkampf à la belge

Einfach mal raus für ein Semester, weit weg. Oder zumindest ein kleines Stück: nach Belgien. Wo Import und Export so ausgeglichen sind wie die Menschen und es sich entspannter studieren lässt als in Germersheim oder Mainz. Echt? Kommt darauf an. Hier blogt Filiz, live and direct aus Mons.

Belgien ist das Land, das auch schon mal länger für die Regierungsbildung braucht als der Irak: 541 Tage ohne Regierung. Dementsprechend aufgeregt war ich angesichts der anstehenden Regionalwahlen am 14. Oktober. Sollte ich etwa hautnah miterleben dürfen, wie sich das belgische Bürokratiemonster auf Kommunalebene selbst zerfleischt? Auf meinem täglichen Fahrradparcours zur Uni (dass ich diese Zeilen schreibe, ist angesichts meines hier in Belgien gefährlichen Fahrradfahrerinnendaseins ein Wunder) lächeln mir die Monser Kandidatinnen und Kandidaten schon seit Wochen von Hochglanzplakaten entgegen. Wer aufmerksam die Listenplätze der Parteien studiert, der und dem fällt auf, dass sich Männer und Frauen auf ihnen abwechseln. Das ist dem „principe de la tirette“ geschuldet. Dieses Gesetz verpflichtet die Parteien, paritätische Listen zu erstellen. Der Star der Lokalpolitik in Mons ist aber ohne Zweifel Elio di Rupio. Der Mann mit der Fliege war von 2011 bis 2014 Premierminister des Königreichs Belgien und ist seit 2001, mit Unterbrechungen, nicht nur Sohn, sondern auch Bürgermeister der Stadt Mons.

Belgien – wählen ist hier Pflicht

Selfie Filiz
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Am Wahlsonntag bin ich schon früh wach, mein Herz klopft. Der erste Blick wandert zum Schreibtisch. Dort stapeln sich die Wahlbroschüren jeglicher Parteien – und Bewegungen natürlich – die heutzutage zum guten Ton aller Urnengangsveranstaltungen gehören. Mittlerweile kenne ich die Infoblätter alle auswendig, flatterten sie mir doch über die letzten Wochen pünktlich zum und aufs Frühstücksbrot ins Haus. Zugegeben, hin und wieder spielte ich mit dem Gedanken, es Onkel Vernon gleichzutun und den Briefschlitz der massiven Eingangstür zuzunageln (ich weiß auch nicht, warum ich neuerdings das Bedürfnis habe, meine Blogbeiträge mit Harry-Potter-Vergleichen zu spicken, siehe: Erasmus mit 25?). In schwachen Momenten dieser Art langte ich nach meinem Handy und zog mir schnell eine Demokratiekickoffrede auf DuTube rein, um mir die Wichtigkeit von politischer Partizipation durch Wahlzettelankreuzen wieder vor Augen zu führen. Apropos politische Partizipation: In Belgien ist die Ausübung dieses Rechts eine Pflicht und das seit 1893 (jedenfalls für das männliche Geschlecht). All jene, die am W-day im Königreich Belgien ihrer Bürgerinnen- und Bürgerpflicht nicht nachkommen, müssen damit rechnen, eine Strafe von 25 bis zu 50 Euro entrichten zu müssen. Verweigert man sich mehrmals der Stimmausübung, läuft man gar Gefahr, für einige Jahre von der Wahlliste gestrichen zu werden. Da verstehen die so sonst so zuvorkommenden Belgierinnen und Belgier eben keinen Spaß.

Nach einer schnell hinuntergestürzten Tasse Kaffee schmeiße ich mich in meinen schönsten Sonntagsmantel und begleite meine Mitbewohnerin zur Schule in der Nachbarschaft, die am diesem sonnengetränkten Sonntag als Wahllokal dient. Und tatsächlich, es bildet sich bereits um diese frühe Uhrzeit eine Schlange. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass die heiligen Stätten der Demokratie nicht im Dauerbetrieb sind und ihre Pforten schon um 13h schließen. Wer wo wählt, wird hier übrigens nach alphabetischer Zuordnung festgelegt und nicht etwa nach Wohnsitz, wie ich das aus heimischen Gefilden kenne. Meine Mitbewohnerin hatte also Glück, dass sich ihr Wahllokal direkt um die Ecke befindet.

Belgien 2019: ein unregierbarer Vielvölkerstaat?

Bier und Pommes Frites
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Nach den langsam eintrudelnden Ergebnissen am Abend zeichnen sich drei Trends ab: Wallonien, also die französischsprachige Region, rückt weiter nach links, das niederländischsprachige Flandern weiter nach rechts und die Hauptstadt Brüssel wird grüner. Diese ideologischen Gräben veranlassen politische Beobachterinnen und Beobachter nicht mal 24h nach der Wahl dazu, sich zu fragen, ob mit Blick auf den Super-Wahl-Sonntag im Mai 2019 an dem auch eine neue Regierung gewählt wird, Belgien nicht wieder zum unregierbaren Vielvölkerstaat im Herzen Europas wird.

Abwarten und Bier trinken!

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